Kundenakquise, Start-ups, Corona: Ein Interview mit einem Spezialisten über den Arbeitsalltag von Freelancer:innen
Nick Oestreich ist Business Development und Community Manager bei Uplink, einem Start-up aus Berlin, das Freelancer:innen und Auftraggeber:innen aus dem IT-Bereich zusammenbringt. Im Interview erzählt er uns, welche Fehler Freelancer:innen gerade am Anfang oft machen, warum sich die Zusammenarbeit mit Freiberuflern auch für Start-ups lohnt und welche Erfahrungen er sowohl unternehmens- als auch freiberuflerseitig in der Corona-Pandemie gemacht hat.
Auftragsakquise: Darauf kommt es an
exali:
Gibt es deiner Meinung nach ein erfolgreiches Konzept, wie man sich als Freiberufler bei potenziellen Auftraggeber:innen präsentiert, um einen Auftrag zu erhalten?
Nick Oestreich:
Hier gibt es im Wesentlichen zwei Punkte, auf die sich Freelancer:innen konzentrieren sollten.
Aussagekräftiger CV
Ich empfehle unseren Freelancern immer, etwas Zeit in die Erstellung eines aussagekräftigen Lebenslaufs beziehungsweise einer Projektliste zu investieren. Viele Freelancer:innen, die erst seit Kurzem selbstständig sind, mussten sich zuvor teilweise noch nie aktiv auf offene Positionen bewerben. Sie wurden von Firmen direkt angeworben oder weiterempfohlen. Natürlich zählen bei Freiberuflern auch weiterhin noch Referenzen und ein breites Netzwerk, allerdings ist der CV – oder auch im Designbereich ein aussagekräftiges Portfolio – das Aushängeschild, das die Kundin oder der Kunde oder Recruiter zuerst sehen. Hier sollten neben der Projektlaufzeit und dem Verantwortungsbereich auch die eingesetzten Technologien mit aufgelistet werden, sodass die Erfahrungen zeitlich eingeordnet werden können.
Bewirbt man sich als Freelancer:in auf ein Projekt, mit dessen eingesetzten Technologien man noch nicht gearbeitet hat, empfiehlt es sich auch verwandte Technologien oder private Projekte im CV zu erwähnen. Erfahrene Freelancer können sich in der Regel schnell in neue Technologien einarbeiten. Auch eine eigene Website mit Serviceportfolio, Referenzen und erfolgreich umgesetzten Projekten ist eine gute Möglichkeit, um sich zu präsentieren.
Realistische Einschätzung
Wichtig ist, während der ersten Gespräche mit dem Kunden keine falschen Erwartungen zu wecken. Gerade bei der Entwicklung von MVPs sind Unternehmen auf die Expertise der Freelancer:innen angewiesen, sie brauchen also eine realistische Einschätzung bezüglich der Machbarkeit ihres Vorhabens und der voraussichtlich erforderlichen Ressourcen. Hier kann ein/e erfahrener/e Freelancer:in am besten einschätzen, wie viel Zeit die Entwicklung einzelner Features in etwa beanspruchen wird und auf welche Funktionen im ersten Schritt verzichtet werden kann. Ein guter Kunde beziehungsweise eine gute Kundin wird genau diese pragmatische Einschätzung wertschätzen.
Welche Fehler Sie als Freiberufler am Anfang vermeiden können
exali:
Was sind deiner Meinung nach die häufigsten Fehler, die Freelancer:innen gerade am Anfang ihrer Karriere machen, und welche Tipps hast du, um sie zu vermeiden?
Nick Oestreich:
Hier gibt es ebenfalls zwei Fehler, die ich häufig bei Freelancer:innen beobachte, die noch am Anfang ihrer freiberuflichen Karriere stehen.
Unangemessener Stundensatz
Einer der häufigsten Fehler, der gerade am Anfang oft passiert, ist sicher ein unangemessener Stundensatz. Freelancer:innen, die noch am Beginn ihrer Karriere stehen, neigen des Öfteren dazu, sich unter Wert zu verkaufen - bewusst oder unbewusst. Es ist empfehlenswert, sich mit anderen Freelancer:innen aus seinem Bereich auszutauschen, um so einen angemessenen Marktpreis erzielen zu können. Die meisten Neulinge haben bereits relevante Erfahrungen im Rahmen ihrer festangestellten Beschäftigungsverhältnisse sammeln können.
Fehlen noch entsprechende Erfahrungen, kann es eine Möglichkeit sein, einen niedrigeren Stundensatz für die ersten zwei Wochen aufzurufen, bis man produktiv ist. Nach dieser Einarbeitungsphase sollten die Kunden und Kundinnen jedoch auch einen marktüblichen Stundensatz zahlen. Mehr Zeit in ein Projekt zu investieren als in Rechnung gestellt werden kann, führt nur zu Frust und schmälert den Stundensatz natürlich erheblich. Communitys oder „Circles“ aus dem eigenen Bereich rund um das Thema Freelancing sind hier auf jeden Fall eine gute erste Anlaufstelle.
Unterschätzung administrativer Aufgaben:
Am Anfang unterschätzen Freelancer:innen häufiger das gesamte Aufgabenspektrum, das mit dem Schritt in die Selbstständigkeit einhergeht. Darunter fällt etwa:
- Eigene Positionierung, etwa durch eine Webseite
- Entscheidung für eine passende Rechtsform
- Buchhaltungsaufgaben wie zum Beispiel Rechnungsstellung
- Gewinnung neuer Kunden und Kundinnen
All das muss neben der eigentlichen, operativen Arbeit in den verschiedenen Projekten geschehen. Gerade im Bereich der administrativen Aufgaben gibt es jedoch viele tolle Tools zur Erleichterung des Freelanceralltags, die für Einzelpersonen zum Teil sogar kostenlos zur Verfügung stehen. Zudem ist es empfehlenswert, klare Zeiträume für die Erledigung solcher Aufgaben zu definieren, etwa durch einen Eintrag im Kalender.
exali:
Was sind deiner Meinung nach die grössten Herausforderungen für Freelancer:innen bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen?
Nick Oestreich:
Das kommt natürlich immer sehr auf den Kontext des Projekts und die/den jeweilige/n Freelancer:in an. Generell beobachte ich jedoch immer wieder drei wesentliche Herausforderungen:
Kommunikation & falsche Erwartungen
Es gibt nichts Schädlicheres für den Projekterfolg als mangelnde Kommunikation und falsche Erwartungen. Bereits zu Beginn eines Projekts sollten Ansprechpartner:in und Freelancer:in gemeinsam festlegen, in welchen Abständen über den Projekterfolg kommuniziert werden soll. Treten bei der Arbeit im Projekt unerwartet neue Herausforderungen auf (was bei fast jedem Projekt in einem gewissen Stadium der Fall ist), die eine Anpassung des Zeitplans erfordern, sollte das auch unverzüglich durch die/den Freelancer:in kommuniziert werden, sodass gemeinsam eine Lösung gefunden werden kann. Ich habe häufig schon den Fall erlebt, dass der Kunde oder die Kundin unzufrieden auf Rückmeldung des Freelancers oder der Freelancerin wartet, diese/r jedoch super vorankommt. Am besten bindet man als Auftraggeber:in die/den Freelancer:in in wöchentliche oder tägliche Meetings mit ein, um solche Fälle zu vermeiden.
Vertrauen
Gerade weil Freelancer:innen häufig nicht vor Ort arbeiten und sie auch nicht so stark in das Team eingebunden sind wie festangestellte Mitarbeiter:innen, lässt sich die Arbeit nicht auf die gleiche Weise nachverfolgen wie bei Unternehmensmitgliedern. Eine gute Vertrauensbasis ist jedoch essenziell, um die/den Freelancer:in zu der Zeit und an dem Ort arbeiten zu lassen, wo sie/er am produktivsten ist. Die wenigsten Freelancer:innen - gerade im Entwicklungsbereich - arbeiten gerne in einem Grossraumbüro von 9 bis 17 Uhr. Als Kontrollmöglichkeit kann der Stundennachweis dienen, in dem Freelancer:innen tageweise grob beschreiben, an welchen Stellen im Projekt sie gearbeitet haben.
Grown-up versus Start-up: Was sind die Unterschiede?
exali:
Gibt es einen Unterschied zwischen der Zusammenarbeit mit einem bereits länger bestehenden Unternehmen und einem Start-up?
Nick Oestreich:
Das kommt natürlich immer auch auf das jeweilige Projekt an. Generell sind die Strukturen in Start-ups agiler und weniger hierarchisch, was auch auf die kleineren Teams zurückzuführen ist. Als Entwickler:in arbeitet man oft in der Anfangsphase im Rahmen der Entwicklung eines MVPs direkt mit dem CEO in einem überschaubaren Team zusammen und darf in vielen Bereichen wie Design, Beratung, Anforderungsanalyse als auch der tatsächlichen Entwicklung mitwirken. Das ist für viele Freelancer:innen sehr spannend, weil sie so sehr schnell viel lernen können.
Auch in einer späteren Phase bei einem „Grown Up“, also einem Start-up, das bereits mehrere Millionen Euro Risikokapital eingesammelt haben, bleiben die offenen Kommunikationswege und flachen Hierarchien, die Freelancer:innen schätzen. Unserer Erfahrung nach sind die Teams oft internationaler und es bietet sich eher die Möglichkeit, Projekte komplett remote abzuwickeln.
exali:
Apropos Start-up: Hast du einen Tipp für Gründer:innen, für welche Projekte (oder ab welchem Zeitpunkt) sie sich eine Zusammenarbeit mit Freelancer:innen überlegen sollten?
Nick Oestreich:
Je nach Geschäftsmodell können Freelancer:innen in fast jeder Phase des Entwicklungszyklus unterstützen. Bei Uplink erleben wir es so, dass die meisten Start-ups erstmalig auf uns zukommen, wenn es um die Entwicklung eines MVPs, also eines Prototyps geht. Manchmal jedoch auch schon vorher, wenn sie eine Geschäftsidee für ein technisches Produkt oder eine Dienstleistung haben, und eine Aufwandseinschätzung eines Freelancers beziehungsweise einer Freelancerin benötigen. Gerade bei der Entwicklung von MVPs, bei denen es darum geht, nur die wesentlichen Funktionen zu integrieren, sodass das Produkt schnell auf den Markt gebracht werden kann, sind die Erfahrungen von Freelancer:innen enorm hilfreich.
Anschliessend werden Freelancer:innen auf dem Weg zum Grown Up Interimsweise zur Überbrückung bis zum Start von festangestellten Mitarbeitern:innen in nahezu jedem Bereich eingesetzt. Im IT-Bereich werden freiberufliche Entwickler:innen auch langfristig eingesetzt, um schnell neue Kompetenzen aufzubauen und interne Mitarbeiter:innen zu schulen. Skaliert ein Start-up, können Freelancer:innen ebenfalls sehr gut bei dem Aufbau neuer Infrastrukturen unterstützen.
Corona-Pandemie: Chancen und Learnings
exali:
Die Corona-Pandemie und ihre Einschränkungen haben viele Freelancer:innen, aber auch Unternehmen hart getroffen. Wie hast du – sowohl aus Sicht eines Start-ups, als auch aus Sicht der Auftragslage für Freelancer:innen die Corona-Pandemie bisher erlebt?
Nick Oestreich:
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie konnten wir gerade zu Beginn im März 2020 mehr als deutlich spüren. Alle Unternehmen befanden sich in einer Art Schockstarre, da alles erstmal ungewiss war. Viele Kunden und Kundinnen erwarteten vehemente Umsatzeinbussen und haben erstmal überall Kosten gespart, wo es ging. Bevor Mitarbeiter:innen in Kurzarbeit geschickt wurden, legte man erstmal alle freiberuflichen Projekte auf Eis.
Das hat sich bei uns auch genauso in der Anzahl der ausgeschriebenen Projekte widergespiegelt. So konnten wir in den Monaten März bis Juli nur eine Handvoll Projekte ausschreiben, wohingegen diese Zahl normalerweise bei mehr als 30 liegt. Viele grosse Unternehmen, die vorher Verfechter:innen vom ortsabhängigen Arbeiten waren, mussten erstmal entsprechende Infrastrukturen schaffen. Die meisten unserer Kunden und Kundinnen sind jedoch auch Start-ups, welche bereits vor der Krise remote gearbeitet haben. Die Unternehmen haben gemerkt, dass die Nachfrage nicht ausbleibt und seit Oktober 2020 haben sich die meisten an die „neue Normalität“ gewöhnt.
exali:
Sich gerade jetzt selbstständig machen – hältst du das für eine gute Idee? Und worauf sollten angehende Freiberufler gerade jetzt besonders achten?
Nick Oestreich:
Aktuell hat sich der Markt, zumindest im Bereich der IT-Dienstleistungen, in dem wir uns mit Uplink bewegen, weitestgehend erholt und es gibt viele freiberufliche Projekte. Das ist aber zum Beispiel im Eventbereich noch lange nicht der Fall, wenn man sich etwa als freiberufliche/r Fotograf:in selbstständig machen möchte. Generell sollte man sich bewusst sein, dass der Einstieg in die Freiberuflichkeit insbesondere am Anfang sehr herausfordernd sein kann. Gerade die Akquise der ersten Projekte nimmt oftmals schon mehrere Wochen in Anspruch. Es empfiehlt sich also auf jeden Fall im Vorhinein ein finanzielles Polster aufzubauen. Eine andere Möglichkeit ist es, nebenberuflich in die Selbstständigkeit hineinzuschnuppern. Es gehört also durchaus auch etwas Mut dazu - allerdings kenne ich kaum eine/n Freelancer:in, die/der diesen Schritt bereut hat.
Vielen Dank Nick Oestreich für diesen spannenden Einblick in den Arbeitsalltag von Freelancer:innen und den Tipps zur Kundenakquise und dem Berufsstart als Freiberufler. Wir wünschen ihm auch weiterhin viel Erfolg mit dem Netzwerk Uplink, das Auftraggeber:innen und Freelancer:innen zusammenbringt.
Nick Oestreich ist 28 Jahre alt und hat nach dem Studium für kurze Zeit bei zwei der grössten Personaldienstleistungsunternehmen als Recruiter und im Vertrieb als Account Manager gearbeitet. Für ihn war allerdings recht schnell klar, dass er in dieser Branche nicht alt werden möchte und sich ein innovatives und kreativeres Arbeitsumfeld wünscht, in dem er eigene Ideen einbringen kann und seine Leidenschaft für Reisen durch Remote-Arbeit verwirklichen kann. Seit mehr als anderthalb Jahren ist er nun bei Uplink als Business Development und Community Manager für die Projektausschreibungen und Kandidatenauswahl, die Organisation von Veranstaltungen, sowie die Auswahl und Zusammenarbeit mit neuen Kooperationspartnern verantwortlich.
Über Uplink:
Uplink ist ein Start-up aus Berlin, das sich als exklusives Netzwerk für IT-Freelancer:innen versteht. Unternehmen haben bei Uplink die Möglichkeit, kostenlos Projekte zu posten. Freelancer:innen wiederrum können sich bei dem Netzwerk bewerben und zahlen Uplink erst nach Vermittlung eines Auftrages für maximal sechs Monate eine Gebühr in Höhe von zehn Prozent ihres Auftragshonorars. Alle Informationen zu Uplink finden interessierte Freelancer:innen und Unternehmen unter: www.uplink.tech
Ehem. Online-Redakteurin
Daniela ist seit 2008 in den Bereichen (Online-)Redaktion, Social Media und Online-Marketing tätig. Bei exali kümmerte sie sich insbesondere um folgende Themen: Risiken durch digitale Plattformen und Social Media, Cyber-Gefahren für Freelancer:innen und Absicherung von IT-Risiken.
Neben Ihrer Tätigkeit als Online-Redakteurin bei exali arbeitet sie als freiberufliche Redakteurin und kennt daher die Herausforderungen der Selbständigkeit aus eigener Erfahrung.