Stundensatzkalkulation: Tipps für selbständige Designer:innen
Das komplette Interview können Sie ebenfalls in diesem Video-Interview mit Victoria Ringleb ansehen:
Worauf kommt es bei der Stundensatzkalkulation an?
exali:
Was ist die wichtigste Frage, die sich Freelancer:innen bei der Stundensatzkalkulation stellen sollten?
Victoria Ringleb:
Es gibt genau zwei Fragen, die ganz oben auf der Prioritätenliste stehen sollten:
1.Wie will ich leben?
2.Wie viel möchte ich verdienen?
Stundensatzkalkulatoren neigen immer dazu, Fragen nach den laufenden Kosten, die gedeckt werden müssen, zu stellen (und zu beantworten), aber diese Fragen sind nicht die wesentlichen für Freelancer:innen. Die entscheidenden Fragen sind eben: „Wie möchte ich leben?“ und „Wie viel möchte ich verdienen?“ – davon ausgehend kann die Stundensatzkalkulation beginnen.
Wichtige Faktoren bei der Stundensatzkalkulation
exali:
Welche generellen Überlegungen sollten Freelancer:innen ausserdem anstellen, wenn es um den Stundensatz geht?
Victoria Ringleb:
Aus meiner Sicht – und diese Erfahrung habe ich auch in der Beratung immer wieder gemacht, ist eine wichtige Frage die, womit ich mein Geld verdiene. Wir müssen davon ausgehen, dass alle Berufsbilder aktuell einer ungeheuren Veränderungsdynamik unterliegen. Das bedeutet: Sie entwickeln sich teilweise extrem schnell weiter und im Zuge dessen fallen Arbeitsbereiche weg oder kommen hinzu. Dem muss ich immer Rechnung tragen. Gerade im Design-Bereich ist es ausserdem so, dass eine entscheidende Frage lautet: Wie hoch ist der Anteil der sogenannten nicht fakturierbaren Arbeitszeit? Damit ist die Zeit gemeint, die ich keinem bestimmten Projekt zuordnen kann.
Was bedeutet nicht fakturierbare Arbeitszeit von Freelancer:innen?
Zur Erklärung: bei der Rechnungsstellung (Fakturierung) erhalten Kundinnen und Kunden eine Rechnung, die erfolgte Lieferungen und Leistungen enthält, die dem beauftragten Projekt direkt zuordenbar sind. Doch ein Teil der Arbeit von Freelancer:innen besteht aus Aufgaben, die keinem bezahlten Projekt zugeordnet werden können wie beispielsweise der Arbeit an eigenen internen Projekten wie dem Design einer eigenen Webseite oder der Kundenakquise. Diese Tätigkeiten können nicht direkt in Rechnung gestellt werden, daher müssen sie über den Stundensatz abgebildet werden.
Im Stundensatzkalkulator der AGD – Allianz Deutscher Designer gibt es deshalb gerade für diese „nicht fakturierbare Zeit“ einen eigenen Punkt. Hier kann ich mit einem Schieberegler auswählen, wie hoch der Anteil (in Prozent) der eigenen Tätigkeiten in folgenden Bereichen ist:
- „Umsetzung und Konzeption“ – hier ist der Anteil der nicht fakturierbaren Zeit meist gering
- „Beratung“ – damit sind beratende und strategische Arbeiten gemeint und hier ist die nicht fakturierbare Arbeitszeit meist relativ hoch.
Diese Gedanken – also wie viel Zeit ich in welche Tätigkeiten stecken will beziehungsweise muss und wie viel davon nicht fakturierbare Arbeitszeit ist – muss ich mir als Freelancer:in unbedingt machen. Darüber hinaus empfehlen wir auch, einen regelmässigen Check ob der Stundensatz noch zur aktuellen Situation passt. Die Massgaben dafür sind beispielsweise familiäre Veränderungen – wenn etwa Nachwuchs dazugekommen ist – oder auch andere Faktoren wie steigende Energiepreise.
Tipps zur Preisgestaltung für Designer:innen
exali:
Wenn ich meinen eigenen Stundensatz kalkuliere, orientiere ich mich ja stark daran, wie meine eigene Situation aussieht. Aber was ist denn, wenn ich mit meiner Kalkulation jetzt an den freien Markt gehe – sollte ich mich dabei auch daran orientieren, was andere freiberufliche Designer:innen verlangen?
Victoria Ringleb:
Hier reden wir jetzt über Preise – das ist aber etwas anderes als der Stundensatz. Denn: Der Stundensatz ist nur für mich selbst da. Dabei geht es darum den Wert meiner Arbeit irgendwie berechenbar zu machen. Es hat sich der Stundensatz beziehungsweise das Verhältnis von Einkommen zu einer bestimmten Zeiteinheit hat sich immer als das beste Instrument erwiesen, um den Wert der eigenen Arbeit in Geld auszudrücken. Das heisst: Ich möchte X Stunden arbeiten und dafür muss ich Betrag X verdienen, um dem Anspruch der ersten Frage gerecht zu werden, dass ich eben gut davon leben kann und eine gute Lebensqualität habe.
Die Preisgestaltung ist etwas komplett Anderes. Hier geht es nämlich um Fragen wie: Wie viel sind meine Auftraggeber:innen bereit zu zahlen? Ändert sich mein Honorar, wenn ich für NGOs oder zum Beispiel Automobilhersteller arbeite? Deshalb sage ich immer: Der Stundensatz, der ist für mich – der dient als meine Orientierungsmarke. Generell würde ich bei der Preisgestaltung sagen: Wenn man sich bei den Preisen an anderen Anbieter:innen orientieren will, dann bitte an denen, die mehr nehmen.
Worauf sollte ich achten, wenn ich Komplettpakete anbiete?
exali:
Gerade im Design-Bereich ist es ja auch üblich, dass Freelancer:innen sich für das komplette Werk bezahlen lassen, anstatt pro Stunde. Welche Fragen muss ich mir bei der Berechnung eines solchen Komplettpaketes stellen und worauf sollte ich achten?
Victoria Ringleb:
Es ist ganz grundsätzlich gut, wenn Designer:innen ihre Arbeit als Leistungspaket verkaufen, statt zu sagen: „Ich verkaufe dir das Design einer bestimmten Leistung und dafür brauche ich pro Stunde Betrag X“. Ein Leistungspaket ist erst einmal grundsätzlich sehr gut, um auch einen Wert zu schaffen für die eigene Arbeit. Worauf man dabei aber achten sollte, ist folgendes: Ein Leistungspaket wird für eine bestimmte Kundin beziehungsweise einen bestimmten Kunden erstellt, die sich auch innerhalb eines bestimmten finanziellen Rahmens bewegen. Wie ich bereits schon erwähnt hatte, können Branchen (zum Beispiel Automobilindustrie versus NGO) sowie weitere Faktoren dabei einen Einfluss auf das nehmen, was wir „Preisbereitschaft“ nennen.
Jede Kundin und jeder Kunde hat eine bestimmte Preisbereitschaft. Dieses Thema ist sehr komplex und es gibt auch diverse Abhandlungen dazu, im Grunde geht es aber um folgendes: Als Freelancer:in müssen Sie herausfinden, welchen höchstmöglichen Preis eine Kundin oder ein Kunde bereit ist zu zahlen und wo das Ganze kippt. Um das wirklich gut einschätzen zu können, braucht es jahrelange Erfahrung. Für mich als Freelancer:in ist auch die Massgabe „wie viel möchte ich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne verdienen?“ wichtig. Die Zeitspanne kann dabei einen Monat oder auch ein Jahr betragen.
Preisbereitschaft: Diese Faktoren sind wichtig
Wenn ich das weiss, kann ich die Preisbereitschaft meiner Kundinnen und Kunden gegeneinander abwägen und zum Beispiel sagen: „Okay, hier ist die Preisbereitschaft niedrig, da verlange ich weniger und bei dieser Kundin ist die Preisbereitschaft höher, da kann ich auch mehr verlangen“. Indikatoren für die Preisbereitschaft sind zum Beispiel Die Branche, interessanterweise die Unternehmensgrösse und auch der Standort - es ist ein Unterschied, ob ich für ein Unternehmen in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern oder für eines in Stuttgart in Baden-Württemberg arbeite. Eine Ausnahme bilden Startups, also neu gegründete Unternehmen - hier beobachten wir immer wieder eine relativ hohe Preisbereitschaft, obwohl das Business noch nicht lange besteht.
Solche Faktoren muss ich kennen. Die Zeit, um mir das Wissen anzueignen, nach welchen Kriterien ich die Preisbereitschaft meiner Kundinnen und Kunden einschätzen kann und ein Gespür dafür zu entwickeln, gehört übrigens auch zur nicht fakturierbaren Arbeitszeit.
Welche Vertragsarten sind im Design-Bereich am sinnvollsten?
exali:
Durch Ihre Arbeit kommen Sie ja mit vielen Freelancer:innen und Gründer:innen in Kontakt. Haben Sie das Gefühl, dass eine bestimmte Vertragsart gerade im Designbereich bevorzugt gewählt wird?
Victoria Ringleb:
Idealerweise sind es im Bereich Design drei Verträge. Wer Erfahrung hat, kann all das zusammen natürlich auch als ein Paket anbieten. Wenn wir es aber juristisch nach der Vertragsart betrachten, dann sind es diese Verträge:
Werkvertrag
Der Werkvertrag wird vor allem dann genutzt, wenn es um die Erstellung eines Designs oder eines Design-Entwurfes geht. Hierbei besteht die erbrachte Leistung in einem fertigen (Ge-)Werk, das zuvor vertraglich festgelegt wurde.
Lizenzvertrag
Der Lizenzvertrag ist im Bereich Design extrem wichtig, da es dabei um die Überlassung des Designs zur Nutzung geht. Dieses Thema löst oft viele Diskussionen aus, daher bevorzuge ich auch den Begriff „Nutzungsvergütung“ und denke es ist sinnvoll, die Kundinnen und Kunden nur für das zahlen zu lassen, was sie auch wirklich nutzen und nicht das, was sie unter Umständen nutzen könnten.
Dienstleistungsvertrag
Bei einem Dienstleistungsvertrag geht es dann auch eher um den Bereich, dass die Arbeit auf Stundenbasis vergütet wird. Dieser Teil der Arbeit macht meist nur einen kleinen Anteil der Arbeit aus. Ganz typische Leistungen, die etwas in den Bereich eines Dienstleistungsvertrages fallen, sind etwa: Die Pflege eines Content-Managment-Systems bei digitalen Anwendungen oder die Druckbetreuung bei Printerzeugnissen. So etwas lässt sich gut auf Stundenbasis abrechnen.
Vorteile von Komplettpaketen versus Abrechnung pro Stunde
exali:
Was würden Sie sagen, in welchen Fällen ist es sinnvoller, sich das Design als Resultat vergüten zu lassen, statt jede Stunde in Rechnung zu stellen?
Victoria Ringleb:
Ehrlich gesagt, in jedem Fall. Eigentlich würde ich behaupten, dass es im Designbereich eher die Ausnahme ist, auf Stundenbasis zu arbeiten. Das kann zum Beispiel am Anfang eines Projektes sinnvoll sein, wenn noch nicht ganz klar ist, wohin die Reise gehen soll. Die Auftraggeber:innen haben ja ein Ziel oder einen Ergebniswunsch, was sie in den nächsten Monaten oder Jahren mit ihrem Business erreichen wollen. Die Aufgabe der Designer:innen ist es, ihnen zu zeigen, wie das Design sie dabei unterstützen kann. Jede Art von Dienstleistung ist immer darauf ausgerichtet, den Kundinnen und Kunden zu helfen, ihre Ziele besser und schneller zu erreichen.
In dieser Phase, in der das Projekt noch sehr unspezifisch ist, macht es Sinn, auf Stundenbasis zu arbeiten. Meine Empfehlung ist hier, auch um den Kundinnen und Kunden mehr Sicherheit zu geben, immer drei Pakete zur Auswahl anzubieten, zum Beispiel: Paket S mit X Stunden zu Betrag X, Paket M und Paket L. Die Erfahrung zeigt hier, dass meistens die goldene Mitte gewählt wird. Eine weitere Möglichkeit für die Arbeit auf Stundenbasis ist auch die Abgeltung eines eventuellen Mehraufwandes. Dies kann beispielsweise so aussehen, dass bereits ein Paket mit Leistungen X gebucht wurde, aber ein Zusatz beigefügt wird, dass alles darüber hinaus bis zu X Stunden auf Stundenbasis abgerechnet wird. Im Designbereich kommt es, ähnlich wie in der IT, nicht selten vor, dass mehr Zeit aufgewendet werden muss als ursprünglich geplant.
Leistungspakete mit Beschreibung
Grundsätzlich ist es aber so, dass ich eine bessere Argumentationsbasis habe, wenn ich ein Leistungspaket zusammenstelle und meinen Kundinnen und Kunden die Leistungen und den Nutzen erkläre. Wenn ich dagegen mit Stunden und Stundensätzen arbeite, biete ich immer schon zwei potentielle Diskussionspunkte an, nämlich: Warum dauert das so lange und warum kostet das so viel. Das ist einfach eine unsinnige Diskussion, weil die Kundinnen und Kunden meistens gar keinen Bezugsrahmen haben.
Ein Beispiel: Ein Mitglied der AGD hat mir einmal erklärt, dass sie hauptsächlich mit Handwerksbetrieben zusammenarbeitet und da dort die Abrechnung auf Stundenbasis üblich ist, wird das auch von ihr erwartet. Das fand ich sehr frustrierend, denn ein:e Klemptner:in kann den Arbeitsaufwand für eine Designleistung schlicht nicht richtig einschätzen. Da kommen dann Aussagen wie: „Warum braucht die dafür fünf Stunden, in der Zeit habe ich fünf Rohre verlegt“. Deshalb empfehle ich unseren Mitgliedern generell, Leistungspakete anzubieten, um sie vor genau solchen Diskussionen zu bewahren.
Wie vermeide ich Preisdiskussionen?
exali:
Gibt es generelle Tipps, wie sich Diskussionen um Preise vermeiden lassen? Es passiert ja nicht selten, dass Kundinnen oder Kunden auf Angebote mit Aussagen wie: „Ja und was wäre wenn wir einfach mehr Zeit einplanen?“ oder „Wir arbeiten doch jetzt schon so lange zusammen, kann man da nichts am Preis machen“ reagieren. Haben Sie dazu Tipps, wie man solche Argumente kontert?
Victoria Ringleb:
Grundsätzlich empfehle ich immer, Wahlmöglichkeiten in die Angebote einzubauen. Wir kennen das ja alle von den Mobilfunkanbieter:innen - dort habe ich auch immer die Auswahl zwischen Paket S, M, L, XL und so weiter. Die machen das, weil sie mir als Kundin damit das Gefühl geben, dass ich die Entscheidungshoheit habe. Ausserdem wissen sie, dass ich mein Nutzungsverhalten viel besser kenne als sie, auch wenn sie es natürlich auswerten und mir Empfehlungen geben können. Diese Art von Angeboten kann man aber auch im Design machen.
In meinen Vorträgen verwende ich gerne das Beispiel einer Verwertungsgesellschaft, die eine Broschüre zu ihrem 50-jährigen Jubiläum haben wollte. Heutzutage gibt es aber neben einer Jubiläumsausgabe noch viele andere Möglichkeiten, wie eine eigene Landingpage, Kampagnen für die Social Media Kanäle, ein Video auf YouTube und vielleicht sogar spezielles Merchandise. Ich habe dann immer gesagt: Also nur die Broschüre wäre dann zum Beispiel Paket S, Paket M wäre dann die Broschüre plus Landingpage und das kann ich dann so deklarieren bis hin zum Paket XL. Damit gebe ich den Kundinnen und Kunden die Hoheit darüber, was sie bestellen und das ist für mich auch bequem, weil ich weiss, dass sie dann nicht über andere Dinge diskutieren.
Preisstaffelungen in den AGB festhalten
Bei Aussagen wie „Wir arbeiten doch schon so lange zusammen“ oder anderen Dingen empfehle ich, das zum Beispiel in den AGB zu regeln. Dort kann ich dann Bedingungen aufführen wie: Bis zu einem Auftragsvolumen von CHF 10'000 nehme ich CHF 120 pro Stunde, bei einem Auftragsvolumen bis CHF 20'000 ist der Stundenlohn dann etwas niedriger. Das ist für mich auch komfortabel, weil es ein planbarer Umsatz ist.
Es ist auch eine gute Argumentationsgrundlage, wenn Aussagen kommen wie: „Ich würde das ja gerne mit Ihnen machen, aber Sie müssten mir schon 3 Prozent Skonto geben“. So hat es kürzlich ein Mitglied erlebt, das dann gekontert hat: „3 Prozent Skonto gibt es ab einem Auftragsvolumen von CHF 80'000“. Dem müssen sich die Kundinnen und Kunden dann stellen und natürlich könnte man darüber diskutieren, aber das tun sie meiner Erfahrung nach in der Regel nicht.
Selbstbewusstsein beim Anbieten
In dem Moment, wo ich so etwas selbstbewusst sage und auch signalisiere: „Hey, ich habe mir Gedanken gemacht“, reduziert das das Diskussionspotenzial enorm. Schwieriger wird es, wenn ich überrascht oder überrumpelt wirke, vielleicht sogar besorgt, weil ich Angst habe, den Auftrag nicht zu bekommen. Tatsächlich ist es aber so, dass schon 2 Prozent Skonto dazu führen können, dass ein Projekt für Freelancer:innen nicht mehr profitabel ist. Ich rate auch davon ab, Angebote mit Verhandlungsspielraum zu konstruieren, nach dem Motto „Ich schlage 10 Prozent auf den Preis auf, wenn ich runtergehandelt werde, ist der Verdienst immer noch gut“. Denn dann besteht die Gefahr, dass gar nicht erst verhandelt wird.
Vielen Dank für dieses ausführliche und spannende Interview!
Victoria Ringleb ist seit 2010 Geschäftsführerin der AGD. Sie studierte Kommunikationswissenschaft und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation in Jena, Cambridge und Brisbane. Seit mehr als zehn Jahren gilt ihre Leidenschaft dem Netzwerkmanagement, also der Schaffung von Räumen, Rahmenbedingungen und Anlässen für kooperatives und kollaboratives unternehmerisches Handeln.
Mehr zur Allianz Deutscher Designer finden Sie auch unter:
agd.de